Eintauchen
Leben im Ausland
Diuli über Wandel, Bildung und die Realität im HR
Für dieses Interview habe ich mit Diuli Silveira de Santana Antonello gesprochen. Sie ist verantwortlich für den Bereich Human Resources bei COLIX und hat mich bei der Umweltbildungsaktion im Kindergarten begleitet. In unserem Gespräch erzählt sie eindrücklich, wie sich ihr Leben in den letzten zehn Jahren verändert hat, beruflich, gesellschaftlich und persönlich, und wie sie Araranguá und die Arbeit mit Menschen heute wahrnimmt.






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Wie hat sich dein Leben in den letzten zehn Jahren verändert?​
Wenn ich zurückblicke, war der technologische Wandel wohl die grösste Veränderung, besonders im HR-Bereich. Früher haben wir vieles manuell gemacht: handschriftliche Dokumente, manuelle Lohnabrechnungen, persönliche Übergaben an Behörden. Heute ist fast alles digital, von der Anmeldung eines neuen Mitarbeitenden bis zur Übermittlung an die Regierung, alles läuft in Echtzeit. Das spart Zeit, ja, aber es ist auch anspruchsvoller geworden.
Die Schnittstelle zwischen Technik und Gesetzgebung ist oft problematisch. Die Systeme sind modern, aber die rechtlichen Anforderungen passen nicht immer zur Realität. Manche Prozesse sind so komplex, dass es fast unmöglich ist, alles korrekt und effizient abzuwickeln, obwohl man eigentlich alles richtig machen will.
Und was hat sich im Privatleben verändert?
Ganz klar: der Zugang zu Bildung. Ich komme aus einer Region mit wenig Möglichkeiten, vor allem für Frauen. Meine Eltern hatten nicht die finanziellen Mittel, um mich auf eine private Hochschule zu schicken, und öffentliche Universitäten in Brasilien sind sehr schwer zugänglich. Aber dann kam die EAD – Educação à Distância. Eine Fernhochschule in meiner Nähe war der Wendepunkt. Ich habe neben der Arbeit in einer Näherei studiert, durch einen Flyer auf dem Tisch in der Firma. Ich wusste: Das ist meine Chance. Dank dieser Möglichkeit konnte ich mich beruflich entwickeln, trotz Vollzeitjob. In der Fernuni habe ich viel gelernt, vor allem durch den Austausch mit Kolleg:innen, die schon in HR arbeiteten. Ich konnte Theorie und Praxis direkt verbinden. Ohne das wäre ich heute nicht hier.
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Welche Veränderungen hast du in Araranguá beobachtet?
Infrastruktur war ein grosser Fortschritt. Früher waren viele Strassen nicht asphaltiert, auch meine. Heute ist sie asphaltiert, und das verändert viel im Alltag. Auch digital ist Araranguá heute besser vernetzt. Vor zehn Jahren war Internet auf dem Land noch Luxus, heute ist es selbstverständlich.
Aber es gibt auch Schattenseiten. Der lokale Handel leidet durch den Onlinehandel. Als ich jünger war, war es schön, durch die Stadt zu bummeln. Heute schliessen viele Läden. Ich habe ein bisschen Angst, dass unsere Stadt damit ein Stück ihrer Identität verliert.
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Wie siehst du die Zukunft von Araranguá in den nächsten zehn Jahren?
Ich wünsche mir, dass Araranguá auf Landesebene sichtbarer wird. Es ist die 12. grösste Stadt in Santa Catarina, aber lange Zeit ist hier wenig passiert. Heute sehe ich Fortschritte. Die aktuelle Stadtregierung macht viel, und ich hoffe, das bleibt so. Meine Hoffnung ist, dass wir uns weiterentwickeln, ohne den Bezug zur Gemeinschaft zu verlieren.
Meine Sorge ist aber, dass die Globalisierung den regionalen Charakter zerstört. Wenn der lokale Handel weiter stirbt und alles nur noch online läuft, verlieren wir etwas Wichtiges: Begegnung, Nähe, Identität.
Und wie blickst du auf deinen Beruf im Bereich Human Resources?
Ich liebe die Arbeit mit Menschen, aber HR hat sich verändert. Früher war es mehr Administration, heute ist es Management von Menschen, Erwartungen, Emotionen. Man ist die Brücke zwischen Unternehmen und Mitarbeitenden, aber wird oft von beiden Seiten zerrieben.
Ein grosses Problem ist die hohe Fluktuation, gerade bei Berufseinsteigenden. Ich sehe, wie junge Generationen anders ticken. Sie sind oft nicht bereit, sich an feste Strukturen anzupassen. Manche interpretieren das als unternehmerisches Denken, aber oft fehlt es schlicht an Frustrationstoleranz. Das macht Rekrutierung enorm herausfordernd.
Zugleich ist es aber faszinierend: Bei COLIX arbeiten aktuell fünf Generationen gleichzeitig, von Baby Boomers bis Generation Alpha. Das ist eine unglaubliche Chance, voneinander zu lernen, wenn man den Austausch richtig gestaltet.
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Was ist dein persönlicher Ausblick?
Ich überlege ehrlich, ob ich in der HR-Branche bleibe. Es ist ein toller Beruf, aber er verlangt viel emotionale Stärke. Wenn die Unternehmenskulturen sich nicht öffnen für echte Mitgestaltung, wird es schwer, langfristig motiviert zu bleiben, besonders wenn man ständig zwischen den Interessen von Mitarbeitenden und Führungskräften vermittelt. Ich bin offen und bereit, mich weiterzuentwickeln, sei es im HR oder vielleicht in einem anderen Bereich.
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Wie ich (Jennifer) Araranguá in zehn Jahren sehe
Wenn ich an die Zukunft von Brasilien denke, ist es schwer, pauschale Aussagen zu treffen. Das Land ist riesig, vielfältig und voller Gegensätze. Deshalb möchte ich den Blick auf Araranguá richten, den Ort, an dem ich mein Praktikum mache und in dem ich seit einigen Monaten lebe.
Im besten Fall sehe ich Araranguá in zehn Jahren als eine Stadt, in der Umweltbildung fest in Bildungseinrichtungen verankert ist. Unternehmen wie COLIX könnten regelmässig Workshops oder Projekte anbieten, um Kindern früh ein Bewusstsein für Recycling mitzugeben. Die Entsorgung wäre besser organisiert, weniger Abfall würde in der Natur landen, und Recycling wäre in der Bevölkerung eine Selbstverständlichkeit. Auch das Stadtbild könnte sich verändern, mit mehr grünen Flächen, vielleicht sogar kleinen Naturspielplätzen oder Gärten rund um Unternehmen und öffentliche Einrichtungen. Gleichzeitig würde sich die Arbeit im Recyclingbereich verbessern, etwa durch höhere Löhne, Weiterbildungsmöglichkeiten oder Massnahmen zur Anerkennung und Mitarbeiterbindung. So würden weniger Menschen den Beruf wechseln. Ich wünsche mir ausserdem, dass es mehr lokale Märkte und Veranstaltungen gibt, die lokale Produkte und nachhaltige Ideen sichtbar machen.
Im schlechtesten Fall verläuft die Entwicklung entgegengesetzt. Recycling wird nicht weiter gefördert, Menschen werfen weiterhin Müll in die Natur, weil es an Aufklärung und Kontrolle fehlt. Die Arbeitsbedingungen im Recycling bleiben schwierig, mit schlechter Bezahlung und hoher Belastung, sodass immer mehr Mitarbeitende kündigen und der Job unattraktiv bleibt. Viele junge Menschen könnten wegziehen, weil sie keine Zukunftsperspektive in der Region sehen. Gleichzeitig könnte der Onlinehandel den lokalen Geschäften weiter schaden, sodass das Stadtzentrum an Leben verliert. Wenn Nachhaltigkeit politisch keine Priorität mehr hat, besteht die Gefahr, dass Themen wie Umwelt- und Ressourcenschutz in den Hintergrund geraten.
Trotz dieser Unsicherheiten bin ich optimistisch. Ich habe hier viele Menschen getroffen, die etwas bewegen wollen, bei COLIX, in Schulen oder auf Veranstaltungen. Wenn diese Energie erhalten bleibt und gezielt unterstützt wird, kann Araranguá einen sehr positiven Weg gehen.
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Projektablauf
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Inzwischen bin ich tief in meinem Arbeitsalltag bei COLIX angekommen und es ist beeindruckend, wie vielfältig und dynamisch meine Aufgaben sind.
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Eines der Highlights war der Wettbewerb «Seja um Campeão da Reciclagem», der interne Wettbewerb, bei dem die Mitarbeitenden aufgefordert waren, recyclbare Abfälle mitzubringen, um Punkte zu sammeln. Die Aktion lief vom 01. April bis zum 24. April, die Gewinner:innen wurden am 25. April prämiert. Ich habe die gesamte Organisation und Kommunikation dieses Wettbewerbs übernommen, von der Konzeption über Flyer, interne Aushänge, WhatsApp-Kommunikation, Infoblätter, Quiz und Umfrage bis hin zur Auswertung und Präsentation der Ergebnisse. Beim Wägen der Materialien wurde ich von Wagner, dem technischen Sicherheitsbeauftragten, unterstützt. Die Aktion kam sehr gut an, hat sichtbar motiviert und den Recyclinggedanken bei den Mitarbeitenden gestärkt.
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Am 17. April war ich gemeinsam mit meinem Kollegen Luiz Gabriel für COLIX auf dem Markt «Feira Sabores & Saberes Populares» in Jacinto Machado vertreten. An unserem Stand drehte sich alles um Elektroschrott und richtiges Recycling. Besonders Kinder und Jugendliche zeigten grosses Interesse an den ausgestellten Altgeräten, von alten Handys bis zu PlayStation-Konsolen. Wer selbst defekte Elektrogeräte mitbrachte, konnte sie direkt bei uns abgeben und erhielt als Dankeschön eine kleine Sukkulente. Der Tag war eine schöne Gelegenheit, Umweltbildung greifbar zu machen und Recycling als Teil eines bewussten Alltags zu vermitteln.
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​Parallel dazu habe ich Informationsmaterialien für meinen Chef erstellt. Einerseits zu Press- und Sortiertechnik aus der Schweiz, wie sie bei Huber Industrieabfälle eingesetzt wird, andererseits zum Recyclingprozess für medizinische Kartonverpackungen. Solche Kartonboxen mit Innensack werden bereits heute in Krankenhäusern und Gesundheitseinrichtungen verwendet, etwa für die Entsorgung infektiöser Abfälle. COLIX prüft nun die Möglichkeit, gesammelten Karton, zum Beispiel aus Wohnanlagen und Spitälern, künftig selbst aufzubereiten und daraus eigene Kartons für den medizinischen Bereich herzustellen.
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​Am 4. Juni haben wir im Rahmen der brasilianischen Umweltwoche den Kindergarten «C.E.I. Tereza Pereira Coelho» in Arroio do Silva besucht. Gemeinsam mit Diuli und Carol führten wir zwei Gruppen mit jeweils rund 30 bis 40 Kindern durch eine interaktive Geschichte zum Thema Recycling und Umweltschutz, erzählt mit unseren selbst gestalteten Handpuppen Colito (Recyclingratte) und Jacalix (Umweltdetektiv). Die Geschichte wurde von passenden Bildern auf dem Fernseher begleitet. Die erste Gruppe (2–3 Jahre) war ruhig und interessiert. Sie hörten ein Lied, lernten Recycling-Spielzeug kennen und erhielten eine Medaille als «Protetor do Meio Ambiente». Die zweite Gruppe (3–5 Jahre) war lebhafter und durfte zusätzlich ein kleines Übungsblatt bearbeiten. Das Team des Kindergartens war begeistert. Für mich war es eine wertvolle Erfahrung mit vielen schönen Momenten, aber auch der Erkenntnis, dass kleinere Gruppen den Kindern (und uns) mehr Aufmerksamkeit ermöglicht hätten.
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Ich bin Diuli, 31 Jahre alt, arbeite seit 2023 bei COLIX und bin verantwortlich für das operative HR-Management. Ich habe seit meinem Abschluss in Human Resources im Jahr 2013 über zehn Jahre Berufserfahrung. Bei COLIX arbeite ich eng mit Lucas, unserem Direktor für Verwaltung, zusammen, der das HR strategisch verantwortet.








Was noch ansteht
Aktuell bereiten wir eine interne, verpflichtende Umfrage vor, die sich an alle Mitarbeitenden richtet. Im Gegensatz zur kurzen Umfrage im Rahmen des Recycling-Wettbewerbs zielt diese auf tiefere Einblicke in Erfahrungen, Herausforderungen und Bedürfnisse der Mitarbeitenden ab. Ziel ist es, besser zu verstehen, wie es dem Team geht, wo Verbesserungsbedarf besteht und wie COLIX die Arbeitsbedingungen nachhaltiger und mitarbeiterfreundlicher gestalten kann. Spannend ist: Die Umfrage wird im Rahmen eines Psychologie-Studiums umgesetzt. Ein externer Student, der aktuell Psychologie studiert, muss für sein Studium eine Arbeitsklima-Analyse in einem Unternehmen durchführen. Diese Gelegenheit hat sich angeboten und nun erarbeite ich gemeinsam mit ihm den Fragenkatalog und unterstütze ihn bei der Umsetzung.
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Was ich machen würde, wenn ich länger bleiben könnte​
Wenn ich ein weiteres Jahr bei COLIX verbringen könnte, hätte ich viele Ideen, wie man das Unternehmen im Sinne der nachhaltigen Entwicklung weiter stärken könnte.
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Ich würde ausserdem gerne einen zweiten Wettbewerb organisieren. Es hat nicht nur Spass gemacht, sondern auch wirklich etwas bewegt. Viele Mitarbeitende waren motiviert dabei, und ich habe das Gefühl, dass sie gerne wieder mitmachen würden.
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Langfristig könnte ich mir gut vorstellen, meine Stelle bei COLIX mit einem stärkeren Fokus auf Bildung und Bewusstseinsbildung weiterzuentwickeln. Etwa durch regelmässige Workshops für Mitarbeitende, z. B. zu Recycling im Alltag, aber auch zu weiteren Nachhaltigkeitsthemen wie Energieverbrauch, Konsumverhalten, Biodiversität oder soziale Verantwortung im Unternehmen.
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Ein weiterer Schwerpunkt wäre die soziale Nachhaltigkeit im Unternehmen. Gerade im Sortierbereich ist die Mitarbeitenden Fluktuation hoch. Ich sehe Potenzial, hier langfristige Ansätze zur Motivation, Bindung und Wertschätzung zu entwickeln z. B. durch interne Austauschformate, Gesundheitsförderung oder gezielte Weiterbildungen.
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Auch das Aussengelände rund um COLIX könnte nachhaltiger gestaltet werden. Kurzfristig mit temporären Begrünungslösungen, langfristig aber vor allem am neuen Standort, der bereits in Planung ist. Hier könnte man von Beginn an auf Biodiversität, Umweltbildung im Aussenraum und eine klare Verbindung zur Unternehmensvision setzen.
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Und schliesslich möchte ich meine Arbeit noch stärker mit der Agenda 2030 und den Sustainable Development Goals (SDGs) verknüpfen. Gerade im Bildungsbereich spüre ich grosses Interesse: Schulen melden sich bei COLIX und fragen an, ob wir Lerninhalte rund ums Thema Recycling anbieten können. Hier liegt grosses Potenzial, sowohl für die Sensibilisierung als auch für die strategische Positionierung von COLIX als verantwortungsbewusstes Unternehmen.